Familiengericht, Jugendamt und Verfahrensbeistand: Wie werden Urteile bei Kindeswohlgefährdung getroffen?

1. Oktober 2021, Familienrecht

Symbolbild © Annie Spratt

Gerade bei Kindschaftssachen ist eine unvoreingenommene und alle Gesichtspunkte abwägende Entscheidung maßgeblich, um im Sinne des Kindeswohls die für das Kind beste Entscheidung zu treffen. Aus diesem Grund sind an Verfahren, die Kinder betreffen, stets auch das Jugendamt sowie ein Verfahrensbeistand beteiligt. Letzterer kümmert sich ebenfalls nochmals individuell um die Belange des betreffenden Kindes.

Sowohl die Vertreter des Jugendamtes als auch der Verfahrensbeistand geben eine Stellungnahme ab, insbesondere auch zur Frage, ob und inwieweit Kindeswohlgefährdungen vorliegen und wie diesen begegnet werden kann. Möchte das Familiengericht von den Einschätzung dieser fachkundigen Personen im Einzelfall abweichen, so muss es die gegenläufige Entscheidung nachvollziehbar begründen.

Vor allem, wenn das Gericht entgegen dem Jugendamt und dem Verfahrensbeistand nicht der Ansicht ist, dass eine Kindeswohlgefährdung vorliegt, muss es nachvollziehbar begründen, warum aus seiner Sicht eine solche Gefahr nicht vorliege. Dies hat vor kurzem das Bundesverfassungsgericht entschieden.

Dem Fall lag ein Antrag einer Pflegemutter zugrunde, ein Pflegekind in ihren Haushalt zurückzuführen, nachdem dieses dort herausgenommen worden war. Hintergrund war, dass der Pflegevater wegen Besitzes kinderpornographischer Bilder und Videos in der Vergangenheit zu einer Freiheitsstrafe verurteilt worden war. Die Pflegemutter hatte angegeben, sich vom Pflegevater getrennt zu haben.

Jugendamt und Verfahrensbeistand gingen weiterhin von einer Kindeswohlgefährdung aus. Begründet wurde dies damit, dass die Pflegemutter versucht habe, die Taten ihres Ehemannes zu verheimlichen bzw. zu verharmlosen. Die Missbrauchsgefahr hatte sie nicht anerkannt. Auch hatte es Zweifel an dem endgültigen Ende der Beziehung gegeben; der Pflegevater hatte sich eine Wohnung in der Nähe des bisherigen Haushaltes genommen, Besuche oder zufällige Begegnungen waren deshalb zu befürchten.

Außerdem hatte die Pflegemutter angegeben, nicht zu wissen, wie sie das Leben mit dem Pflegekind ohne den Pflegevater finanzieren könne und ob sie der Betreuung des Kindes als Alleinerziehende überhaupt gewachsen sei.

Trotz alledem hatte das in der Beschwerdeinstanz zuständige Oberlandesgericht Brandenburg die Einschätzung der sachkundigen Personen von Jugendamt und Verfahrensbeistand nicht teilen wollen. Ohne nähere Begründung, warum die Bedenken und Argumente nicht durchgreifen könnten, wurde die Rückführung des Kindes in den Haushalt der Pflegemutter angeordnet.

Mit der Verfassungsbeschwerde verfolgte der Amtsvormund – also das Jugendamt – die Interessen des Pflegekindes weiter. Obwohl das Bundesverfassungsgericht eigentlich nicht dafür zuständig ist, die Tatsachen des konkreten Einzelfalls nochmals aufzubereiten, fand dies im vorliegenden Fall durchaus statt.

Dies war möglich, da das Jugendamt eine Verletzung der körperlichen Unversehrtheit des Kindes in Verbindung mit dem Grundrecht auf Schutz der Familie gerügt hatte. Aus diesem Grund war es für das Bundesverfassungsgericht unerlässlich, die Hintergründe des konkreten Einzelfalls näher darzustellen.  Ausgehend davon legte das Bundesverfassungsgericht die Kriterien fest, wonach das Familiengericht von den Einschätzungen des Jugendamtes sowie des Verfahrensbeistandes abweichen könne.

Gerade bei sensiblen Themen wie Kindeswohlgefährdung ist besonders umsichtig und vorausschauend zu agieren und zu entscheiden. Demgemäß sind alle Aspekte des Einzelfalls einer Prüfung zu unterziehen, anderenfalls ist eine am Kindeswohl orientierte Entscheidung nicht möglich.

Die Einschätzungen von Jugendamt und Verfahrensbeistand sind hierbei eine wichtige Entscheidungshilfe. Dies gilt für alle übrigen Beteiligten an solchen Verfahren, die ihre Argumentation daran ausrichten können und dies auch tun sollten.

 

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